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Die Haupt- und Kernthese des Abends, die schließlich auch die Diskussion bestimmte, war die: Die Haltung des gegenwärtig herrschenden, kalten Zynismus hat unangenehm vieles gemein mit der weisen Haltung der Heiterkeit. Sollte etwa deshalb die Heiterkeit geschickt sein als Antwort auf das zynische Bewußtsein?
In "Vom Richtigen im Falschen" hatte deshalb eigentlich das Hauptkapitel "Heiterkeit und Zynismus" heißen sollen. Doch es wollte mir nicht gelingen. Was ich damals im Schilde führte, deute ich am Anfang des Abends immerhin an.
Und hier einige Texte und Zitate, die im Anschluß daran ihren Auftritt erhielten:
Goethe:
Die wahre Poesie kündet sich dadurch an, daß sie, als ein weltliches Evangelium, durch innere Heiterkeit, durch äußeres Behagen uns von den irdischen Lasten zu befreien weiß, die auf uns drücken. Wie ein Luftballon hebt sie uns mit dem Ballast, der an uns hängt, in höhere Regionen und läßt die verwirrten Irrgänge der Erde in Vogelperspektive vor uns entwickelt daliegen.
(Dichtung und Wahrheit, Hamb.Ausg. IX, S. 580)
Schopenhauer:
Was nun aber ... uns am unmittelbarsten beglückt, ist die Heiterkeit des Sinnes: denn diese gute Eigenschaft belohnt sich augenblicklich selbst. Wer eben fröhlich ist hat allemal Ursach es zu seyn: nämlich eben diese, daß er es ist. Nichts kann so sehr, wie diese Eigenschaft, jedes andere Gut vollkommen ersetzen; während sie selbst durch nichts zu ersetzen ist. Einer sei jung, schön, reich und geehrt; so frägt sich, wenn man sein Glück beurtheilen will, ob er dabei heiter sei: ist er hingegen heiter; so ist es einerlei, ob er jung oder alt, gerade oder pucklich, arm oder reich sei; er ist glücklich. In früher Jugend machte ich ein Mal ein altes Buch auf, und da stand: »wer viel lacht ist glücklich, und wer viel weint ist unglücklich,« — eine sehr einfältige Bemerkung, die ich aber, wegen ihrer einfachen Wahrheit doch nicht habe vergessen können, so sehr sie auch der Superlativ eines truism’s ist. Dieserwegen also sollen wir der Heiterkeit, wann immer sie sich einstellt, Thür und Thor öffnen: denn sie kommt nie zur unrechten Zeit; statt daß wir oft Bedenken tragen, ihr Eingang zu gestatten, indem wir erst wissen wollen, ob wir denn auch wohl in jeder Hinsicht Ursach haben, zufrieden zu seyn; oder auch, weil wir fürchten, in unsern ernsthaften Ueberlegungen und wichtigen Sorgen dadurch gestört zu werden: allein was wir durch diese bessern ist sehr ungewiß; hingegen ist Heiterkeit unmittelbarer Gewinn. Sie allein ist gleichsam die baare Münze des Glückes und nicht, wie alles Andere, bloß der Bankzettel; weil nur sie unmittelbar in der Gegenwart beglückt; weshalb sie das höchste Gut ist für Wesen, deren Wirklichkeit die Form einer untheilbaren Gegenwart zwischen zwei unendlichen Zeiten hat.
(Aphorismen zur Lebensweisheit)
Denn, wann eine wirkliche, wiewohl immer nur temporäre, Steigerung unserer Heiterkeit, selbst bis zur Freudigkeit, eintritt; so pflegt sie ohne allen äußern Anlaß sich einzufinden. Zwar sehen wir oft unsern Schmerz nur aus einem bestimmten äußern Verhältniß hervorgehen, und sind sichtbarlich nur durch dieses gedrückt und betrübt: wir glauben dann, daß wenn nur dieses gehoben wäre, die größte Zufriedenheit eintreten müßte. Allein dies ist Täuschung.
(Welt als Wille und Vorstellung I, § 57)
Durch den also verminderten Antheil am eigenen Selbst wird die ängstliche Sorge für dasselbe in ihrer Wurzel angegriffen und beschränkt: daher die ruhige, zuversichtliche Heiterkeit, welche tugendhafte Gesinnung und gutes Gewissen giebt, und das deutlichere Hervortreten derselben bei jeder guten That, indem diese den Grund jener Stimmung uns selber beglaubigt. Der Egoist fühlt sich von fremden und feindlichen Erscheinungen umgeben, und alle seine Hoffnung ruht auf dem eigenen Wohl. Der Gute lebt in einer Welt befreundeter Erscheinungen: das Wohl einer jeden derselben ist sein eigenes. Wenn daher gleich die Erkenntniß des Menschenlooses überhaupt seine Stimmung nicht zu einer fröhlichen macht, so giebt die bleibende Erkenntniß seines eigenen Wesens in allem Lebenden ihm doch eine gewisse Gleichmäßigkeit und selbst Heiterkeit der Stimmung.
(Die Welt als Wille und Vorstellung I, § 66)
Nietzsche:
Das unglücklichste und melancholischste Tier ist, wie billig, das heiterste.
(Nachlaß. Nietzsche-W Bd. 3, S. 453)
Es gibt nämlich zwei sehr unterschiedliche Arten von Heiterkeit. Der wahre Denker erheitert und erquickt immer, ob er nun seinen Ernst oder seinen Scherz, seine menschliche Einsicht oder seine göttliche Nachsicht ausdrückt; ohne griesgrämige Gebärden, zitternde Hände, schwimmende Augen, sondern sicher und einfach mit Mut und Stärke, vielleicht etwas ritterlich und hart, aber jedenfalls als ein Siegender: und das gerade ist es, was am tiefsten und innigsten erheitert, den siegenden Gott neben allen den Ungetümen, die er bekämpft hat, zu sehen. Die Heiterkeit dagegen, welche man bei mittelmäßigen Schriftstellern und kurzangebundenen Denkern mitunter antrifft, macht unsereinen, beim Lesen, elend: wie ich das zum Beispiel bei David Straußens Heiterkeit empfand.
Man schämt sich ordentlich, solche heiteren Zeitgenossen zu haben, weil sie die Zeit und uns Menschen in ihr bei der Nachwelt bloßstellen. Solche Heiterlinge sehen die Leiden und die Ungetüme gar nicht, die sie als Denker zu sehen und zu bekämpfen vorgeben; und deshalb erregt ihre Heiterkeit Verdruß, weil sie täuscht: denn sie will zu dem Glauben verführen, hier sei ein Sieg erkämpft worden. Im Grunde nämlich gibt es nur Heiterkeit, wo es Sieg gibt; und dies gilt von den Werken wahrer Denker ebensowohl als von jedem Kunstwerk. Mag der Inhalt immer so schrecklich und ernst sein, als das Problem des Daseins eben ist: bedrückend und quälend wird das Werk nur dann wirken, wenn der Halbdenker und der Halbkünstler den Dunst ihres Ungenügens darüber ausgebreitet haben; während dem Menschen nichts Fröhlicheres und Besseres zuteil werden kann, als einem jener siegreichen nahe zu sein, die, weil sie das Tiefste gedacht, gerade das Lebendigste lieben müssen und als Weise am Ende sich zum Schönen neigen. Sie reden wirklich, sie stammeln nicht und schwätzen auch nicht nach, sie bewegen sich und leben wirklich, nicht so unheimlich maskenhaft, wie sonst Menschen zu leben pflegen: weshalb es uns in ihrer Nähe wirklich einmal menschlich und natürlich zumute ist und wir wie Goethe ausrufen möchten: »Was ist doch ein Lebendiges für ein herrliches köstliches Ding! wie abgemessen zu seinem Zustande, wie wahr, wie seiend!«
Ich schildere nichts als den ersten gleichsam physiologischen Eindruck, welchen Schopenhauer bei mir hervorbrachte, jenes zauberartige Ausströmen der innersten Kraft eines Naturgewächses auf ein anderes, das bei der ersten und leisesten Berührung erfolgt; und wenn ich jenen Eindruck nachträglich zerlege, so finde ich ihn aus drei Elementen gemischt, aus dem Eindrucke seiner Ehrlichkeit, seiner Heiterkeit und seiner Beständigkeit. Er ist ehrlich, weil er zu sich selbst und für sich selbst spricht und schreibt, heiter, weil er das Schwerste durch Denken besiegt hat, und beständig, weil er so sein muß. Seine Kraft steigt wie eine Flamme bei Windstille gerade und leicht aufwärts, unbeirrt, ohne Zittern und Unruhe.
[Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen, Schopenhauer als Erzieher, Nietzsche-W Bd. 1, S. 297f]
Die Heiterkeit nämlich oder, um es in meiner Sprache zu sagen, die fröhliche Wissenschaft - ist ein Lohn: ein Lohn für einen langen, tapferen, arbeitsamen und unterirdischen Ernst, der freilich nicht jedermanns Sache ist.
[Zur Genealogie der Moral, Nietzsche-W Bd. 2, S. 769]
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